Dienstag, 12. Juli 2016

Nuis Kastration

Mein entzückendes Rosettenmeerschweinchen Nui litt ab einem Alter von etwa 2,5 Jahren unter Dauerbrünstigkeit (über Monate hinweg), war extrem hyperaktiv und hatte stark an Gewicht verloren. Bei einer Ultraschalluntersuchung an der Veterinärmedizinischen Universität wurde festgestellt, dass sie einen Tumor an einem Eierstock, einen Tumor an der Milz und eine vergrößerte Gebärmutter hatte.

Die Entscheidung zu einer Operation war für mich eine der schwersten Entscheidungen, seit ich Meerschweinchen halte. In meinem Bekanntenkreis hatte ich schon von etlichen Meerschweinchenweibchen gehört, die in den Tagen nach einer Kastration verstorben waren. Daher hatte ich mich wenige Monate zuvor bei Lea, die ebenfalls einen Tumor an einem Eierstock hatte, aber abgesehen von vereinzelt auftretenden Blutungen vollkommen symptomlos, glücklich und zufrieden war, auch gegen eine OP entschieden. 
Bei Nui lag der Fall aber anders, da es ihr offensichtlich nicht sehr gut ging. Sie brachte zum Zeitpunkt der Operation auch nur mehr 860 g auf die Waage (ihr Normalgewicht war etwas über 1 kg).

Zeitig an einem sonnigen, aber eiskalten Märzmorgen brachte ich Nui gemeinsam mit einem Partnerschweinchen zur chirurgischen Abteilung an der Veterinärmedizinischen Uni. Dann begannen die Stunden des bangen Wartens.
Am frühen Nachmittag erhielt ich endlich den Anruf des Chirurgen, dass bei der OP alles gut verlaufen sein. Nui wurde dann auf die interne Abteilung verlegt.
Ursprünglich hatte es geheißen, dass Nui entweder noch am selben Abend, vermutlich aber am nächsten Tag entlassen werden würde. Ich hatte mir daher vorsorglich eine Woche Urlaub genommen, um mich intensiv um Nui kümmern zu können, sobald sie nach Hause kam.

Leider kam dann alles ganz anders. Die weiteren Berichte von Nuis Zustand waren alles andere als positiv. Sie verweigerte komplett die Nahrungsaufnahme und ihre Blutwerte waren sehr schlecht. Die gute Nachricht dieser Tage war immer nur, dass Nui noch lebte – auch wenn sie keine kooperative Patientin war.
Aus den Stunden des bangen Wartens wurden Tage und der Zeitpunkt ihrer Entlassung wurde jeden Tag einen Tag nach hinten verschoben. Aber zum Glück sprach Nui dann doch auf die Behandlung an.
Am 5. Tag nach der OP waren die Blutwerte so gut, dass Nui in häusliche Pflege entlassen werden konnte. Die Wunde war sehr schön verheilt. Aber Nui verweigerte noch immer die Nahrungsaufnahme.

Beim Abholen nahm ich ein kleines Häufchen Elend in Empfang. Das Fell um ihre Schnauze war ziemlich mit Päppelbrei verklebt, ein Zeichen des ständigen Kampfes um die Nahrungsaufnahme, und man konnte jede einzelne Rippe spüren. Ich hatte noch nie ein Meerschweinchen in der Hand, das so abgemagert war!

Als ich mit Nui und Ginger in der Transportbox wieder vor meiner Wohnungstür stand und aufsperrte, ließ Nui ein zufriedenes Glucksen hören.

In den nächsten Tagen versuchte ich, Nui zum Fressen zu überreden. Gurke fraß sie eigentlich recht brav, auch ein bisschen Salat und Petersilie, aber Heu verweigerte sie praktisch komplett. Ich versuche es mit allen möglichen Tricks und dem unterschiedlichsten Futter, getrockneten Kräutern, Haferflocken, Pellets – egal was, Hauptsache sie nahm ein bisschen etwas zu sich. Denn das Päppeln war ein ziemlich aussichtsloser Kampf, bei dem Nui mehr Energie verbrauchte, als ich ihr zuführen konnte. Dazu kamen natürlich noch Verdauungsprobleme und ihre Bemmerl waren winzig. Sie bekam in den ersten Tagen ein Schmerzmittel und ein Mittel gegen Blähungen und verbrachte Stunden damit, auf mir zu liegen und zu schlafen, wenn wir nicht gerade versuchten, sie zu füttern.

Am Tag, nachdem ich Nui von der VetMed zurückbekommen hatte, wog sie nur mehr 740 g. In den nächsten Tagen ging ihr Gewicht dann zunächst noch weiter zurück, bis sie mehr als zwei Wochen später langsam wieder etwas zunahm.

Neben der Intensivbetreuung in Bezug auf das Füttern gab es allerdings auch noch „Bewegungstherapie“ für Nui. Ab dem ersten Tag, nachdem sie wieder zuhause war, begannen wir damit, sie im Arbeitszimmer dazu zu „zwingen“, ein paar Schritte zu laufen. Anfangs rutschten ihr die Beinchen seitlich komplett weg und sie schaffte gerade ein paar Schritte. Im Laufe der Tage entwickelte sich aber ein gewisses Ritual. Sie war zwar recht unwillig bei der Sache, aber ich bin sicher, dass ihr die Bewegung trotzdem gut tat, denn im Käfig lag sie nur an einem Platz und rührte sich nicht vom Fleck. 

Knapp 14 Tage nach der OP machte Nui das erste Mal wieder Männchen bei der Fütterung und etwa eine Woche später kam sie zum ersten Mal wieder zum Morgenauslauf aus dem Käfig. Von da an nahm die Genesung ihren Lauf:
Nui nahm im Laufe der nächsten Wochen und Monate langsam, aber kontinuierlich zu und erreichte wieder ihr ursprüngliches Gewicht.

Die Zeit des Banges war endlich vorbei und Nui lebte nach der Operation noch etwas mehr als zwei Jahre. Sie wurde etwa 5,5 Jahren alt. 
Allerdings hat sich ihr Verhalten durch die Kastration sehr verändert. Während sie vorher durch die übermäßige Hormonproduktion des Tumors hyperaktiv war und keine Ruhe fand, machte sie danach kaum mehr Bewegung und verbrachte die meiste Zeit schlafend. Auch ihr Verhalten in der Gruppe, besonders anderen Weibchen gegenüber, hat sich sehr verändert – und leider nicht zum Positiven. Aber zum Glück haben alle Schweinchen der Gruppe gelernt, mit Nui umzugehen.
Man kann jedenfalls nicht sagen, dass die Kastration eines Meerschweinchen-Weibchens dazu führt, dass es sozial verträglicher wird. Bei Nui war das eindeutig nicht der Fall.