Samstag, 7. Mai 2016

Weißes Fell und rote Augen - na und?

Ich hatte früher mehrere Jahre lang nicht nur eine Meerschweinchen-Gruppe, sondern zwei, weil ich bei erwachsenen Notmeerschweinchen immer wieder das „Glück“ hatte, dass sich zwei Damen nicht riechen konnten. Oder ich verliebte mich in einen Bock, der natürlich mit einer eigenen Dame einziehen musste, weil ich ohnehin schon einen Bock samt Weibchen zuhause hatte.
Als es mir im Jahr 2007 gelang, die verbliebenen Schweinchen in eine Gruppe zu integrieren – und das war schwierig genug – war ich mir ziemlich sicher, dass ich nie wieder – nie und nimmer – mehr als eine Gruppe wollte.
Aber es kam, wie es irgendwann kommen musste, und aus dem „niemals nie“ wurde ein „vielleicht“, ein „na ja, möglicherweise“, ein „okay, auch schon egal – sind ja schließlich auch nur zwei mehr“. ;-)
Und was war der Anlass?

Der Anlass waren zwei Meerschweinchen-Weibchen, die mit mehreren anderen Meerschweinchen aufgrund einer schweren Erkrankung der Halterin abgegeben worden waren. Alle anderen Schweinchen war recht flott vermittelt, nur die beiden … ja, die wollte niemand. Da saßen sie nun Monat für Monat in der Notstation und die Aussichten auf eine erfolgreiche Vermittlung wurden immer geringer.

Aber warum? Waren es Tiere mit einer chronischen Erkrankung? Tiere, die absolut unverträglich waren? Tiere, die nur einfach niemandem gefielen?

Also krank waren sie nicht…
Unverträglich – da kommen wir dem Problem schon etwas näher, denn die beiden hingen unheimlich aneinander. So sehr, dass sie jeden Versuch, ein anderes Meerschweinchen zu ihnen zu setzen oder sie einzeln mit anderen Tieren zu vergesellschaften, im Keim erstickt haben. Die beiden waren also nur im Doppelpack zu haben.
Und sie hatten noch ein großes Handicap – sie waren nämlich keine „schönen“ oder irgendwie ausgefallenen Rassetiere. Sie stammten ursprünglich aus einer Labortierzucht, waren weiß und hatten rote Augen.
Nach längerem Nachdenken, Platzsuchen für einen weiteren Käfig und nachdem ich die beiden während der Ausstellung im Oktober des damaligen Jahres das ganze Wochenende über beobachten konnte – und die Reaktion der Besucher auf sie – war es dann also soweit...
Im Oktober 2013 zogen zwei weiße, rotäugige Meerschweinchen bei mir ein.

Bevor ich sie zu mir holte, hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie es mir wohl gelingen würde, die beiden auseinander zu halten. Die Fellfärbung konnte mir dabei ja nicht helfen. ;-)
Aber wer Sugar und Honey einmal in der Hand hatte, konnte sie nicht mehr verwechseln, denn Honey war ein unheimlich zartes Weibchen, das zum Zeitpunkt der Übernahme gerade einmal 900 g auf die Waage brachte und auch nie zunehmen solllte, während Sugar wesentlich kräftiger gebaut und auch deutlich schwerer war. Außerdem hatte Sugar eine Kerbe an einem Ohr, eine längere Nase als Honey und einen kleinen Mini-Wirbel an der Nasenspitze. Es war also mit ein bisschen Übung wirklich nicht schwierig, sie auf den ersten Blick auseinanderzukennen.

Sugar und Honey waren zum Zeitpunkt der Übernahme etwa 3,5 Jahre alt – und ich muss zugeben, dass ich etwas „gesetztere“ Tiere erwartet hatte.
Die beiden anderen Meerschweinchen, die ich etwa in diesem Alter übernommen hatte, machten von ihrem Verhalten her einen wesentlich älteren Eindruck. Sugar und Honey waren vergnügt, unternehmungslustig und immer für Unsinn bereit – besonders Sugar!

Was aber vom ersten Tag an offensichtlich war: Sie waren niemals wirklich angegriffen worden. In der ersten Zeit hatte ich jedes Mal, wenn ich sie angreifen musste, Angst, dass sie gleich vor lauter Schreck der Schlag treffen würde. Während sie sich sonst schnell eingewöhnten und wir bald eine passende Tagesroutine fanden, war jeder direkte Kontakt eine Tortur.

Dazu kam noch, dass Sugar – für Meerschweinchen sehr untypisch – sofort zu beißen anfing, wenn man sie hielt. Also begann ich sie langsam, aber konsequent gegen das Angreifen zu desensibilisieren. Das heißt, ich nahm sie etwa jeden zweiten Tag auf den Arm, hielt sie aber jeweils nur ganz kurz fest, sodass sie noch nicht in die Panik-Schiene kippen konnte. So lernten beide im Laufe von ein paar Monaten, dass es zwar nicht ganz angenehm war, wenn jemand sie angriff, aber es war auch kein Grund, um sein Leben zu fürchten. Mit der Zeit war auch das Krallenschneiden kein (großes) Problem mehr.
Und beide nahmen brav Futter aus der Hand und waren auch sonst sehr manierliche Meerschweinchen – außer wenn es darum ging, was man nicht alles annagen kann. ;-) Da haben sich beide allerdings einen ziemlich Ruf erarbeitet, denn die beiden haben gemeinsam mehr kaputt gemacht als alle anderen Meerschweinchen, die ich kennen lernen durfte...

Meine Meerschweinchen dürfen alle zweimal am Tag in der Wohnung laufen. In den letzten Jahren musste ich mir um Freilauftraining nie große Gedanken machen, denn die Neuzugänge lernten problemlos von den alteingesessenen Tieren und beherrschten die Grundregeln in kürzester Zeit. Bei Sugar und Honey war das anders – denn sie konnte sich aus Sicherheitsgründen nichts von meiner anderen Gruppe abschauen.
Ich begann mit dem Freilauftraining daher nur in einem kleinen Zimmerbereich, der gut überschaubar und absolut meerschweinchensicher war – und in dem ich die beiden auch leicht jederzeit hätte einfangen können. Ich sage „hätte“, denn Sugar und Honey fanden schon beim ersten Ausflug problemlos in den Käfig zurück. Die beiden waren diesbezüglich wahre Meerschweinchen-Einsteins!

Und sie waren vollkommen begeistert, sich so richtig auslaufen zu können. Die ersten Tage verbrachten sie die gesamte Freilaufzeit im gestreckten Meerschweinchen-Galopp, schlugen Haken, machten Luftsprünge – und waren einfach glücklich.
Mit der Zeit machten sie natürlich nicht mehr so viel Bewegung, aber ein gemütliches Abhängen im Zimmer ist ja auch viel wert. Obwohl beide unheimlich gerne im Zimmer unterwegs waren, sind sie am Ende der Freilaufzeit an den meisten Tagen ohne Diskussion wieder in den Käfig zurückgekehrt.
Schwierig war es vor allem dann, wenn sie sich vor irgendetwas erschreckt hatten (was leider schon noch hin und wieder vorkam) und wenn die Hormone auf einem Höhenflug waren.

Was das Futter anbelangt, waren Sugar und Honey eher konservativ veranlagt. Was das Schwein nicht kennt, frisst es auch nicht!
Eine Ausnahme haben sie im Laufe der Monate doch schon für leckere Dinge wie grünen Hafer oder getrockneten Löwenzahn gemacht. Aber es war ein Riesenunterschied zu meiner anderen Gruppe, die die meisten Dinge, die ich ihnen anbiete, zumindest probieren, bevor sie sich eine Meinung darüber bilden.

Jetzt weiß ich jedenfalls wieder ganz genau, warum ich niemals wieder eine zweite Gruppe haben wollte. ;-)
Trotzdem habe ich es nie bereut, Sugar und Honey zu mir geholt zu haben, denn die beiden waren einfach entzückende Meerschweinchen-Damen mit einer ordentlichen Portion Eigenwillen – aber das hat ja noch keinem Meerschweinchen geschadet. ;-) Und das ist auf jeden Fall eine andere Geschichte...