Montag, 23. Mai 2016

Die Prinzessin auf der Erbsenflocke

Chelsea war, als sie etwa ein halbes Jahr alt war, sehr krank. Sie machte mir damals große Sorgen und brauchte über einen längeren Zeitraum intensive Behandlung. Nachdem sie damals ein sehr heikler Fresser war und mehr Gewicht verlor, als sie zunahm, versuchte ich natürlich alles, um sie bei Laune bzw. am Fressen zu halten. Und ich muss es zugeben, dabei wurde die kleine Maus wohl einigermaßen verwöhnt, bis aus ihr ein ziemliches Prinzesschen wurde.
Mittlerweile ist Chelsea knapp 1,5 Jahre alt, bringt ein für ein Meerschweinchenweibchen anständiges Gewicht auf die Waage und ist unverblümt bissig. Von ihrer schweren Erkrankung ist eine leichte Kopfschiefhaltung zurückgeblieben, die sich bei Stress verstärkt ... und Chelsea in manchen Situationen, wie zum Beispiel während der Tortur des Abwiegens, ein wahrhaft bedauernswertes Aussehen verleiht. Es gibt Tage, an denen sie stärker beeinträchtigt ist, aber im Großen und Ganzen geht es ihr derzeit zum Glück sehr gut und ich hoffe, dass es noch lange so bleiben wird.

Chelsea lebt mit Nicky gemeinsam. Und Nicky ist ein unheimlich schneller Fresser. Nachdem Chelsea in der akuten Krankheitsphase nicht viel Appetit hatte und phasenweise zu jedem Bissen überredet werden musste, gewöhnte ich es mir an, die Gemüse-Fütterung möglichst zu überwachen, damit Chelsea zu ihrem Anteil kam.
Besonders beim täglichen Stück Paprika, denn Nicky ist ein besonders großer Paprikafan und betrachtet jedes herrenlose Paprikastück als sein eigenes. Er hat auch eine recht eigenwillige Definition von "herrenlos". Tatsächlich bedeutet das für ihr jedes Paprikastück, das sich nicht in seinem Mäulchen befindet, ganz egal, ob es sich vielleicht gerade in einem anderen Mäulchen befindet oder befunden hat.
Damit Chelsea also zu ihrem Anteil am Paprika kam, musste ich sehr gut aufpassen und oft ein Machtwort sprechen. Nicky hat im Laufe der Zeit gelernt, dass er keine Chance hat, Chelsea den Paprika zu entführen, solange ich anwesend bin. Wenn ich ihnen natürlich den Rücken zudrehe ... das ist eine ganz andere Geschichte.

Leider ist Chelsea für ein Meerschweinchen mit einer recht geringen Begeisterung für Gemüse ausgestattet. Salat ist toll, Petersilie und andere Kräuter oder Löwenzahn frisch von der Wiese sind schon sehr gut, aber manches andere wie Gurke oder auch Paprika wird mit wesentlich geringerem Einsatz verspeist.
An manchen Tagen ist das Paprikafressen - unter argwönischer Beobachtung von Nicky versteht sich - ein Trauerspiel in mehreren Akten.

Zunächst wird das Stück huldvoll entgegen genommen. Manchmal fängt sie brav zu fressen an. Manchmal nimmt sie ein paar Bissen und lässt den Rest liegen. Manchmal ergreift sie nach ein paar Bissen regelrecht die Flucht.
Ich kann nur sagen, am Paprika selbst liegt es nicht, denn Paprika-Fan Nicky sitzt daneben und  verspeist sein Stück mit Genuss. Und meine zweite Gruppe im Nachbarzimmer hat auch keine Beanstandungen der Qualität. Nur Chelsea hat oft etwas auszusetzen.
An manchen Tagen hilft es, wenn ich das Stück in kleinere Teilstückchen zerbreche. An manchen Tagen darf ich Madam den Paprika mehrere Male nachreichen, bevor endlich alles verschwunden ist.
Und an manchen Tagen frisst sie ihn mit großem Appetit und ist dann unter Umständen schneller als Nicky.

Aber ich gelobe Besserung. Nachdem Chelsea im Moment ein gutes Gewicht hat, werde ich das Nachtragen des Paprikas einstellen. Schließlich macht es nicht so viel aus, wenn sie ihr Stück nicht auffrisst.
Wäre da nicht die doch sehr prägende Erinnerung an ihre Krankheit. Und dass sie noch vor wenigen Monaten mehr wie ein magersüchtiges Ziesel als wie ein gut genährtes Meerschweinchen ausgesehen hat.

Tja, dann werde ich wieder schwach und trage ihr den Paprika hinterher, wache über sie, bis sie aufgefressen hat - und bringe ihr auch sonst alle Aufmerksamkeiten entgegen, die ihr zustehen ... meiner kleinen Prinzessin auf der Erbsenflocke.