Sonntag, 10. September 2017

Cassy

Wir hatten heuer einen sehr bewegten Sommer. Es begann mit Quinnys Augenverletzung, die zum Glück gut verheilt ist, ging weiter mit Nickys OP, die zwar ein großer Schreck war, aber auch einen guten Ausgang nahm ... und endete mit Cassy. :-(

Genau an dem Wochenende, an dem Nickys Nähte entfernt wurden und er endlich wieder zu Chelsea durfte - als ich schon dachte, dass wieder etwas Normalität in unser Leben einkehren würde, bemerkte ich, dass Cassy große Schwierigkeiten beim Fressen hat. Es hatte sich schon ein paar Tage vorher angekündigt, war bis dahin aber eher unspezifisch gewesen.

An dem Wochenende war klar, dass Cassy nicht abbeißen konnte - zumindest nicht, wenn etwas härter war. Seltsamerweise konnte sie noch immer Karotte fressen, aber Gurke und Paprika gingen gar nicht mehr. Anfangs hatte sie noch brav Heu gefressen, aber auch dabei war ich mir jetzt nicht mehr sicher. Es schien zwar so, als würde sie sich mit dem Heu beschäftigen, aber ob sie es noch fressen konnte ...?

Natürlich, wie konnte es mitten im Sommer anders sein, war unsere Haustierärztin auf Urlaub. Und auch der zweite Tierarzt meines Vertrauens. Nachdem sich Cassys Zustand rapide verschlechterte und ich auch den Verdacht hatte, dass die Backenzähne zusätzlich zu einem Problem wurden, holte ich mir einen Termin bei einer anderen Tierärztin, die ebenfalls viel Erfahrung mit Zahnproblemen hat. Sie kürzte Cassys Backenzähne und verordnete uns Schmerzmittel. Ich war sehr erleichtert, dass Cassys Backenzähne jetzt nicht noch zusätzlich Probleme bereiten konnten - aber leider ging es Cassy am Tag nach dem Tierarztbesuch deutlich schlechter statt besser. Das Fell unter ihrer Schnauze war total nass und sie wollte sich fast nicht füttern lassen.

Ein krankes Meerschweinchen zu füttern ist immer so eine Sache. Solange es ihnen gut geht, nehmen sie Päppelbrei mit Begeisterung. Wenn sie krank sind und man versucht, sie zwangszuernähren, ist es meistens ein Drama. So auch bei Cassy, obwohl sie ohnehin halbwegs kooperativ war, aber halt nur halbwegs. Außerdem hatte die Tierärztin auch gemeint, dass Cassy weiterhin kauen sollte, damit es nicht zu einer Atrophie der Kaumuskulatur kommt. Wir versuchten daher alles mögliche Grüne in Cassy hineinzubekommen.
Wenn sie einmal etwas nahm, waren wir total glücklich. Bei der nächsten Fütterung wurde es dann wieder verschmäht. Mal wurde ein bisschen Petersil gefressen, dann ein Stückchen Salat, mal ein Blatt Basilikum, dann ein bisschen von einem Radieschenblatt. Und so ging es bei jedem Fütterungsversuch.

Nachdem Cassy immer größere Probleme hatte, beschloss ich, ihre Schmerzmitteldosis zu verdoppeln. Was hatten wir zu verlieren?
Daraufhin stabilisierte sich Cassys Zustand immerhin so weit, dass sie etwas Löwenzahn, Spitzwegerich und Gras fressen konnte. Teilweise fütterten wir sie separat, teilweise in der Gruppe. Nachdem die anderen recht schnell beim Fressen sind, war die Chance, dass Cassy in der Gruppe einen gerechten Anteil bekam, ziemlich gering. Andererseits war sie in der Gruppe phasenweise viel motivierte, es überhaupt zu probieren. Und manchmal fraß sie etwas, das sie bei der Allein-Fütterung kategorisch abgelehnt hatte, in der Gruppe dann doch, weil es den anderen sichtbar schmeckte.

Es war eine sehr anstrengende und nervenaufreibende Zeit.

Aber mit der höheren Schmerzmitteldosis ging es Cassy etwas besser und ich hatte wieder Hoffnung, mit ihr zu unserer Haustierärtzin gehen zu können, die nach dem Feiertag Mitte August wieder da war - und wir hatten gleich den allerersten Termin bekommen.

Die Diagnose war ein Kieferabszess. Er hatte mittlerweile schon eine deutliche Beule gemacht, war aber noch so hart, dass er nicht operiert werden konnte. Bei der Korrektur der Backenzähne trat etwas Eiter in den Mundraum. Daher bekamen wir auch ein Antibiotikum verordnet. Gemeinsam mit dem Schmerzmittel, sanften Wärmebehandlungen und dem Zufüttern hieß es jetzt abwarten. Wir waren eine Woche später wieder bestellt.

In diesen Tagen ging es Cassy besser. Ich konnte es nicht fassen. Natürlich war mir klar, dass ihr Zustand immer noch kritisch war, aber der Tag, an dem sie wieder Gurke fraß - das erste Mal seit etwa 2 Wochen - war ein Freudentag.

Sollten wir wirklich das Glück haben, dieses Drama gemeinsam zu überstehen?

Wir sollten leider nicht... :-(
In der darauffolgenden Woche hatte sich der Abszess soweit entwickelt, dass bei Druck schon dickflüssiger Eiter hervortrat. Interessanterweise nicht dort, wo die Beule gewesen war, sondern bei den Schneidezähnen.
Cassy wurde am selben Tag operiert. Der Abzess war bei der Wurzel eines Schneidezahns gewesen. Diesen Zahn hatte die Tierärztin samt Wurzel entfernt. Leider war der 2. untere Schneidezahn während der Operation auch abgebrochen. Sein Zahnmaterial war ziemlich schlecht gewesen, vermutlich war es der Zahn, den sich Cassy vor etwa 1,5 Jahren schon einmal abgebrochen hatte.

Cassy hatte jetzt also keine unteren Schneidezähne mehr, einer würde nie mehr nachwachsen, der zweite vielleicht.
Am Abend nach der OP war Cassy natürlich sehr mitgenommen. Sie ließ sich aber ein bisschen füttern. Sonst brauchte sie vor allem Ruhe.
Am nächsten Morgen fütterte ich sie gleich nach dem Aufwachen das erste Mal, zwei Stunden später noch einmal. Danach kippte sie einfach weg und schlief sofort wieder ein. Wir wollten Cassy daher etwas Ruhe lassen.
Die nächste Fütterung blieb beim Versuch. Cassys Zustand verschlimmerte sich zusehends. Sie bekam noch mehr Schmerzmittel, aber es schien gar keine (oder kaum) Wirkung zu zeigen. Dadurch, dass sie keine unteren Schneidezähne hatte, konnte sie gar nichts mehr selbst fressen. Sie nahm gerade noch ein Blatt Löwenzahn. Dass sie kein Gras fressen konnte, war für uns alle der absolute Tiefpunkt.

Es wäre sicher möglich gewesen, Cassy noch ein paar Tage künstlich am Leben zu erhalten.
Aber zu welchem Preis?
Sie hatte aufgegeben.
Sie war in all der Zeit, selbst als es ihr zwischendurch wirklich schlecht ging, immer vollkommen präsent gewesen, eine kleine Kämpferin.

Jetzt kämpfte sie nicht mehr. Sie war auch nicht mehr präsent.
Und wir hätten nur noch gegen sie kämpfen können. Das habe ich schon zu oft erlebt - immer mit furchtbarem Ausgang. Das kam für mich nicht mehr in Frage.

Cassy verlor ihren letzten Kampf am Abend des 24. August.
Sie war ein großartiges Schweinchen gewesen, intelligent, unternehmungslustig, verfressen, nicht übermäßig geduldig - immer bereit zu einem Streit mit ihrer Schwester Quinny.
Und wenn es so etwas wie einen Meerschweinchen-Himmel gibt, ist sie sicher schon dabei, sich den besten Platz zu sichern. Ich hoffe, es für sie! Sie hat es sich wirlklich verdient!

Schlaf süß, mein kleines Mäuschen!
Du wirst nicht vergessen...

Cassy - November 2011 bis August 2017