Montag, 25. April 2016

Expedition Freja

Vor einigen Jahren lebte eine Meerschweinchen-Dame bei mir, die immer schon sehr ihren eigenen Kopf hatte: Freja, eine rot-weiße Schönheit, die es sogar einmal aufs Titelblatt der "Rodentia" geschafft hat - ein echtes Cover-Girl also. ;-)
Anfangs lebte sie gemeinsam mit Merlin, einem Bock, der etliche Jahre älter war als sie. Nach Merlins Tod gelang es mir dann mit einigen Schwierigkeiten, Freja mit Benji und seiner Partnerin Lea zu vergesellschaften. Die Geschichte, die ich heute erzähle, stammt aus der Zeit, als Freja noch mit Merlin zusammenlebte (in meinem Wohnzimmer) und Benji und Lea in der Küche wohnten.
Ich muss zugeben, dass ich mich gar nicht mehr so genau erinnern konnte, wie faustdick es Freja hinter ihren hübschen Öhrchen hatte. ;-) 


Manche Meerschweinchen sind unternehmungslustiger als andere. Und mit manchen Meerschweinchen erlebt man eine Überraschung nach der anderen. So ein Meerschweinchen war Freja.
Freja kam im Oktober 2005 zu mir, nachdem sie von ihren „wohlmeinenden“ Vorbesitzern ausgesetzt worden war und zwischenzeitlich in einer Notstation Unterschlupf gefunden hatte. Freja kam in der ersten Zeit bei mir laufend auf nette Ideen, um mich auf Trab zu halten.

Wenn sie zum Beispiel einen Körnerfuttersack annagte und vom Regal zog.
Wenn sie zum Beispiel das unterste Regalbrett des Rattan-Regals, das im Wohnzimmer neben dem Sofa steht, mit Beschlag belegte und die Zeitschriften, die dort ursprünglich lagen, ins Rutschen brachte.
Wenn sie zum Beispiel meinen verbauten Balkon, auf dem eine Menge Zimmerpflanzen (auch die giftigen) stehen, als Lieblingsausflugsziel wählte, obwohl sich dorthin noch keines meiner anderen Schweinchen jemals gewagt hatte. (Seither ist der Balkon mit einem Gitter gesichert, wenn die Tür zum Wohnzimmer offen ist.)
Wenn sie zum Beispiel ins Vorzimmer verschwindet, um Benji in der Küche einen kleinen Besuch abzustatten – zum Glück steht ein Gitter an der Küchentür, das Benjis und Leas Küchenfreilaufareal und Merlins und Frejas Freilaufareal trennt.

Aber es kann einem auch passieren, dass man am Wochenende seelenruhig der Hausarbeit nachgeht, die Schweinchen in ihren jeweiligen Zimmern dem Freilauf frönen – und man plötzlich ein Geräusch hört, das nicht in das normale Spektrum passt: einen lauter Platscher. Also startet man durch ins Wohnzimmer und schaut, was los ist. Verschlafen blinzelt einem Merlin entgegen, der unter dem Rattan-Regal – demselben, dessen unterstes Regalbrett Freja zum Meerschweinchen-Territorium deklariert hat – liegt und schläft. Keine Spur von Freja, aber das kommt öfter vor. Dieses Tierchen kann sich manchmal sprichwörtlich in Luft auflösen, aber sie ist zum Glück immer wieder aufgetaucht.
Nachdem alles einen friedlichen Eindruck macht, geht man also zurück zur Hausarbeit. Aber schon wenig später ertönt ein lautes Nagen. Nun ist Nagen bei mir an sich kein ungewöhnliches Geräusch. Merlin und Freja nagen mit Herzenseinsatz an den beiden langen Pappröhren, die im Wohnzimmer zu ihrer Verwendung herumliegen. Und manchmal leider auch an meinem Sofa, was eigentlich nicht erlaubt ist. Aber dieses Nagen klingt trotzdem irgendwie anders. Also zurück ins Wohnzimmer.
Noch immer liegt Merlin friedlich schlafend unter dem Regal, noch immer keine Spur von Freja. Aber sie muss irgendwo sein, denn ihr Nagen ist nicht zu überhören. Ein Blick auf den Tunnel aus dem ausgehöhlten Baustamm, ein Blick zu den Pappröhren, ein Blick unters Sofa. Keine Spur von Freja.
Und dann fällt mein Blick auf das unterste Regalbrett des Rattan-Regals, unter dem Merlin so seelenruhig schlummert. Und plötzlich ist mir klar, wohin Freja verschwunden ist …

Merlin und Freja haben - wie alle meine Schweinchen - jeden Tag zwei Mal Freilauf und kommen dabei sowohl selbstständig aus dem Käfig heraus, als auch gehen sie wieder selbstständig in den Käfig zurück. Das klappt sehr gut – allerdings nur solange sie in dem Glauben sind, dass ich sie jederzeit fangen könnten (und Hand aufs Herz, Freja würde ich nicht bekommen, zum Glück weiß sie es nicht ;-). Ich weiß aber aus langer Erfahrung, dass ein Schweinchen, das es sich ganz hinten unter meinem Sofa bequem macht, sehr schnell merkt, dass ich keine Orang-Utan-Arme habe. Das kann dann zur Folge haben, dass Schweinchen meint, es schläft einfach noch eine Runde - so dringend kann ich ja wohl auch wieder nicht ins Büro müssen. Was mache ich dort schon den ganzen Tag?
Um dieses Problem zu beheben, habe ich aus diversen Kartons einen „Verbau“ unter meinem Sofa verklemmt, der verhindert, dass sich ein Schweinchen hinten an der Wand verbarrikadieren kann. Dieser „Verbau“ hatte aber seitlich keine besonders hohen Seitenwände, denn er sollte ja nur verhindern, dass man nach hinten zur Wand laufen kann. Wenn man aber auf dem untersten Brett des Rattan-Regals neben dem Sofa sitzt, kann man über die Absperrung nach unten springen – und landet unter dem Sofa hinter dem „Verbau“. Und kann damit nicht mehr hervor, es sei denn, man nagt sich seinen Weg in die Freiheit.

Ich war natürlich gar nicht begeistert, dass ich meinen kunstvollen „Verbau“, der immerhin schon fast ein Jahr den Nagezähnen standgehalten hatte, zerlegen musste, um Freja aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Aber was bleibt einem anderes übrig?
Nachdem ich zum Glück schnell die Schachtel gefunden hatte, die ich verrücken konnte, ohne die ganze Konstruktion zum Einsturz zu bringen, spazierte Freja nach kurzer Zeit vollkommen unbekümmert unter dem Sofa hervor, verschwand noch einmal kurz für einen letzten Blick dahinter und marschierte dann zu Merlin – vermutlich, um ihm von ihren Abenteuern zu erzählen.

Und ich hatte wieder eine Stelle, die ich Freja-sicher verbauen musste. Da soll noch jemand sagen, dass Meerschweinchen langweilige Haustiere sind.;-)